Vom Glauben erzählen - Aber bitte persönlich!
Wie sieht Glaubenskommunikation im Zeitalter digitaler Medien aus? Der Studiengang „Crossmediale Glaubenskommunikation“, bei dem auch fünf Limburger teilnehmen, will Antworten geben. Miriam Penkhues hat für NETZ mit Dr. Anna Neumaier, Koordinatorin des Studiengangs, über zeitgemäße Glaubenskommunikation gesprochen, wie Social Media unsere Art zu glauben verändert, welche Chancen digitale Projekte haben und worauf es beim Kommunizieren wirklich ankommt.
Interview - Erster Teil
Frau Neumaier, sie koordinieren den neuen Studiengang „Crossmediale Glaubenskommunikation“ mit Teilnehmer*innen katholischer Bistümer und evangelischer Landeskirchen. Welche Hoffnungen und Ziele verfolgen Sie mit dem Studiengang?
Die Idee hinter dem Studiengang ist relativ simpel: Die Studierenden gezielt zu qualifizieren für das Berufsfeld kirchlicher Kommunikations- und PR-Arbeit. Bisher ist es so, dass häufig studierte Theolog*innen, manchmal auch Kommunikationsprofis und Absolvent*innen anderer Fächer in der kirchlichen Kommunikation tätig sind. Das wollen wir auch an sich nicht ändern. Wir wollen diejenigen, die quer einsteigen und sich in diesem Bereich qualifizieren wollen, gezielt weiterbilden und neue Kompetenz vermitteln, die in der ursprünglichen Ausbildung der Leute nicht vorgekommen sind. Wir arbeiten im Studiengang mit drei Strängen: Der Theologie, der Religionssoziologie und der Kommunikationswissenschaft. Alle Stränge sind eng miteinander verwoben. Das ist jetzt eine sehr sachliche Antwort. Meine theologischen Kolleg*innen würden hier wohl kurz sagen, dass es darum geht, die christliche Botschaft in zeitgemäßen Medienformaten noch besser zu erzählen. (schmunzelt)
Ihr Herz brennt für die Religionssoziologie. Was müssen alle Theolog*innen mit Blick auf die Religionssoziologie beachten, wenn Sie kommunizieren?
Was diese Perspektive einbringen kann, ist der Blick auf Zielgruppen und Rezipienten. Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Die andere: Man muss sich vorher überlegen was ist unsere Botschaft? Was wollen wir vermitteln? Wie verstehen wir unseren Auftrag? Als Religionssoziologin schaue ich da auch auf den gesellschaftlichen Kontext: Wie verwandelt sich gerade die religiöse Landschaft in unserer säkularen Gesellschaft? Wie verändert sich religiöse Identität und Identifikation bei Christ*innen. Es lohnt sich, da genauer hinzuschauen – auch über die Sinus-Milieus hinaus.
Die Pandemie hat kirchliche Prozesse in Frage gestellt. Der Umgang damit ist unterschiedlich: In manchen Pfarreien gibt es zaghafte Versuche, digital unterwegs zu sein. Andernorts sind regelrechte Profis am Werk. Hat Kirche da etwas versäumt?
Ja, eindeutig. Aber nicht nur die Kirchen allein, das gilt für viele große Institutionen in Deutschland, sei es im Bildungsbereich oder der Verwaltung. Wenn man auf die Kirchen schaut, sieht man, dass es schon viele Projekte gab. Diese Projekte wurden aber häufig von Einzelkämpfern oder kleinen Kollektiven getragen. Versäumt wurde dann manchmal ein systematischeres und institutionell unterstütztes Lernen voneinander und gemeinsames Ausprobieren auf der einen Seite. Auf der anderen Seite aber auch, dass grundlegende Diskussionen über das Selbstverständnis der eigenen Aufgaben, Rollen und Inhalte in Bezug auf den digitalen Raum teilweise erst jetzt geführt werden. Wie können wir Liturgie in den digitalen Raum transferieren? Was und wie wollen wir kommunizieren? Diese Fragen lassen sich noch viel breiter diskutieren. Wir haben vielleicht noch eine Botschaft, die für alle relevant ist. Wir müssen sie aber diverser kommunizieren.
Welche Möglichkeiten an systematisch, institutionellem Lernen sehen Sie konkret?
Zum einen muss viel stärker zusammengetragen werden, was es bereits an Erfahrungen gibt. Was ist gut gelaufen? Was ist nicht gut gelaufen? Das, was nicht gut gelaufen ist, darf aber nicht direkt unter der Kategorie „Nie wieder“ verbucht werden! Es kann ja ganz unterschiedliche Gründe dafür geben, warum etwas gescheitert ist: Nicht zeitgemäß, zu wenige Ressourcen. Vielleicht müssen Ressourcen systematisch umgesteuert werden. Vielleicht scheiterte es an der Vorstellung, dass Digitales nicht manifest sei und daher nichts kosten dürfe. Zum anderen betrifft das aber auch Ausbildungswege wie etwa den Studiengang, den wir jetzt anbieten. Man muss auch über alternative Fort- und Weiterbildungen reden.
Mein Eindruck ist, dass sich man sich noch besser vernetzen könnte untereinander. Ist Kirche in Sachen digitaler Kommunikation viel zu versäult oder zu individuell unterwegs?
Tatsächlich fehlen auch für meinen Eindruck häufig die übergreifenden Strukturen, die gerade Digitalprojekten angemessen wären. Die sind aber auch kein Allheilmittel. Am Anfang muss man sich immer fragen: Wen wollen wir erreichen und mit wem wollen wir kommunizieren? Wenn das eine Gemeinde ist, dann ist das de facto ein lokal abgegrenzter Raum. Dann muss man die Gemeinde kennen und die Leute wissen, wen sie vor sich haben. Auf der anderen Seite ist klar, dass digitale Kanäle nicht darauf beschränkt sind. Es macht Sinn, sich zu fragen, wo überschreitet die Kommunikation sinnvollerweise Bistumsgrenzen. Manche Zielgruppen, die ohnehin nicht gebunden sind an Pfarreien oder Bistümer, etwa junge Leute, die sich als Christ*innen identifizieren, aber nicht in die Kirche gehen, erreiche ich vielleicht eher bei Instagram. Für diese Menschen ist es völlig unerheblich, wo genau diese kommunizierende Person sitzt. Dafür müsste man sich zusammenzuschließen. Die EKD hat das etwa mit dem Yeet-Netzwerk getan. Dahinter steht die Idee, dass Bistumsgrenzen für manche überhaupt kein relevanter Faktor mehr sind.
Lassen Sie uns über weitere Beispiele gelungener Glaubenskommunikation sprechen. Welche sehen Sie und welche Chancen sehen Sie in diesen digitalen Projekten?
Als Beispiele, die innovative Wege gehen, fallen mit etwa die Netzgemeinde da_zwischen ein, oder auf Instagram das Feministische Andachtskollektiv oder auch unser eigener Kanal „faithpwr“. Auf Twitter sind beispielsweise die Initiativen hinter #twomplet oder #twaudes einen Blick wert. Mit solchen werden Projekten neue Wege gegangen und viele Selbstverständlichkeiten religiöser Kommunikation und auch religiöser Praxis in Frage gestellt werden. Das ist für die Innovationskraft sehr wichtig. In dieser Hinsicht spielt es für mich dann weniger eine Rolle, ob etwas auch quantitativ ein Erfolg ist. Eine besondere Herausforderung liegt für mich auch darin, Projekte aufzusetzen, mit denen man nicht nur versucht, Mitglieder zu halten, sondern auch jene erreicht, die zuvor nicht in der Kirche aufgetaucht sind. Wie kann man mit solchen Projekten und Inhalten Strahlkraft an den Rändern entwickeln? Im Gespräch mit den Machern von da_zwischen, dem Andachtskollektiv und faithpwr ist mir aber auch aufgefallen: Bei einer Frage zu den Erfolgskriterien meinten alle drei, dass alles gut wäre, solange sie wachsen würden. Stagnation sehe man schon kritisch. Das ist ja ziemlich bemerkenswert mit Blick auf die allgemeinen Mitgliederzahlen der Kirchen, denn da würde man sich ja schon über eine Stagnation freuen. Das zeigt vielleicht, welches Potential in diesen Projekten liegt, auch wenn viele in absoluten Zahlen nicht unbedingt groß sind. Mit Blick auf die pure Quantität ist natürlich auch die Vielzahl an Gottesdiensten, die während der Corona-Pandemie geradezu über Nacht digitalisiert angeboten wurden, zu nennen. Das war natürlich häufig nicht mit tiefgreifenden Innovationen verändert, aber darum ging es in dieser Situation ja auch nicht; und die Abrufzahlen zumindest aus dem letzten Jahr zeigen an, dass die Nachfrage sehr groß war.
Zweiter Teil
Sie haben sich mit dem Thema Religiosität in pluralistischer Gesellschaft befasst. Können Sie mit Blick auf die Glaubenskommunikation Trends ablesen und eine Richtung erahnen, wo das hinführt?
Deutschland wird religiös deutlich vielfältiger. Studien zeigen aber, dass diese Vielfalt für uns individuell oft gar nicht so entscheidend ist, weil viele Leute das in ihrer direkten Umgebung doch gar nicht so berührt. Was aber einen Unterschied macht, ist die Tatsache, dass Religiosität und Lebenswelt immer stärker von säkularen Grundannahmen geprägt ist. Das führt dazu, dass wir religiöse Kernüberzeugung in vielen Kontexten gar nicht mehr ohne weitere Erklärungen und Relativierungen kommunizieren können. Und das gilt nicht nur für die Kommunikation in die Gesellschaft, sondern auch für Teile der Kirchenmitglieder. Zentrale Dogmen werden nicht mehr geteilt, ohne dass dies die persönliche Identifikation als Christ*innen mindern würde. Die Herausforderung besteht darin, nach Wegen zu suchen, wie Theolog*innen und Gläubige von dem erzählen können, was sie glauben und bewegt, zugleich aber an diesen säkularen Grundtonus anschlussfähig bleiben. Das zeigt sich an vielen Stellen in sozialen Medien: Instagram funktioniert nur über Personen, die von sich erzählen. Da ist auch religiöse Praxis und Überzeugungen ein Thema. Aber immer aus der persönlichen lebensweltorientierten Kommunikation heraus. Da geht niemand hin und sagt: Das ist die Lehre der Kirche oder ein Dogma.
Zuletzt gab es in der katholischen Kirche eine sehr kontroverse Diskussion um Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare. Inwiefern erschweren solche Themen andere Bemühungen von Glaubenskommunikation? Denn hier werden ja Widersprüche und Unstimmigkeiten deutlich offenbar…
Das spielt eine große Rolle, und betrifft – natürlich neben den direkt Betroffenen! – auch mittelbar all die jüngeren Generationen, die nicht mehr selbstverständlich hineinsozialisiert werden in die Kirche. Für sie ist Religiosität, vereinfacht, aucheine Entscheidungsfrage und Entscheidungen müssen gut begründet sein und als stimmig empfunden werden. Bei der Entwicklung ihrer Identität gibt es für junge Menschen wahnsinnig viele Optionen. Und die Option, nicht religiös zu sein, ist eine einfache. Studien zeigen außerdem, dass die Themenfelder Partnerschaft, Körperlichkeit und Geschlechtlichkeit Menschen natürlich besonders emotional berühren, indem sie die eigene Identität in ihrem Innersten betreffen. Homosexualität ist einfach für viele Menschen inzwischen vollkommen in Ordnung oder in einem positiven Sinne gar nicht erst der Rede wert; andere lehnen ohnehin binäre Geschlechterkonzepte ab. Das wird dann also nicht diskutiert oder in Frage gestellt. Die theologischen Antworten und die Institution der Kirche dann aber umso mehr.
Inwiefern wirkt sich dieser lebensweltliche Zugang zur Religiosität noch auf die Glaubenskommunikation aus? Schauen wir zum Beispiel auf die Ökumene…
Ich glaube, dass in den digitalen Kommunikationsräumen häufiger Konfessionsgrenzen verschwinden und immer weniger relevant sind. Vielen Influencern labeln sich auf selbst nur als „christlich“, und spezifizieren gar nicht, zu welcher Gemeinschaft sie überhaupt gehören. Gerade das sollte auch für die katholische Kirche ein Thema sein, weil auf Instagram auch gerade die nicht-katholischen Influencer unter dem Label christlich wahrgenommen werden. Influencer mit den meisten Followern kommen häufig aus dem freikirchlichen Bereich. Für ihre FollowerInnen sind dann Feinheiten und Unterschiede in der Lehre vielleicht gar kein großes Thema mehr.
Sie haben darüber gesprochen, dass digitale Medien auch die Art und Weise verändert, wie Menschen glauben. Welche Beispiele haben Sie dafür noch und welche Herausforderungen sehen Sie hier?
Man sieht etwa auch, dass sich Gemeinschaft verändert. Das ist jetzt nicht allein für soziale Medien spezifisch, sondern gilt auch für die gesamte Gesellschaft. Es gibt jetzt häufiger Gemeinschaften der Wahl, die nicht mehr ein ganzes Leben lang bleiben. Ein entscheidender Punkt ist aber auch veränderndes Verhältnis von Autoritäten und Laien. Besonders auf Social Media wird das manchmal ganz neu hergestellt. Auch wenn es interessanterweise wird Plattformen gibt, die ein vergleichsweise klassisches Sender-Empfänger-Modell repräsentieren – Influencer zum Beispiel – so haben sich durch soziale Medien woanders deutlich egalitärerer Austauschformen entwickelt. Das spiegelt aber nicht die kirchlichen Verhältnisse wider. Von der Kirche aus gedacht, ist hier die Frage, wie man das Verhältnis von „Experte“ und „Laie“ dort denken muss und darf.
Wenn wir das Verhältnis von Kirche und Medien betrachten, dann kann man in gewisser Weise feststellen, dass Kirche immer sehr stark darin war, Medien zu prägen und weiterzuentwickeln. Zentrale Medienentwickelungen wurden von der Kirche mitgeformt. Das hat sich aber extrem gewandelt, als sich Medien und mediale Institutionen emanzipiert haben. Weil Kirche nicht mehr diese Prägekraft besitzt, bedeutet dies nun, dass sie jetzt ihre Botschaft auch unter Gesichtspunkten von Medienlogiken formulieren müssen, will sie nicht in Binnenzirkeln kommunizieren. Diesen Logiken unterliegt man, sobald man neue Plattformen nutzen möchte: Wie funktioniert das? Welche Stile und Gattungen sind dort angebracht? Welche Ästhetiken funktionieren? Solche Räume haben einfach ihre eigenen Regeln. Das ist ja auch ganz normal, das gilt ja zum Beispiel für den Gottesdienstbesuch ebenso, da kann man ja auch nicht einfach reinkommen und sein Ding machen.
Heißt das auch, dass wir kirchliche Inhalte zurückstellen oder gar über Bord werfen müssen?
Das lässt sich so pauschal nicht sagen. WIchtig ist meines Erachtens, zunächst einmal zu klären, was man eigentlich online erreichen will. Welchen Teil seines Auftrags oder Arbeitsfeldes will man online mit einem bestimmten Projekt realisieren? Will man einen Ersatz finden für das, was in Präsenz nicht geht, oder will man neue Formen finden? Geht es um Verkündigung im Kern oder eher um positive Image- und Außendarstellung? Geht es darum Mitglieder zu halten oder geht es darum, neue zu binden? Handelt es sich um eine Kommunikation für die Gemeinde vor Ort oder übergreifende Angebote? Ich glaube aber, dass wenn man sich in bestimmte Räume begibt, wo Zielgruppen gerade sind (Youtube, Instagram, TikTok), dann muss man sich auf diese Logiken einlassen. Einfach auch schon deswegen, um dem Algorithmus zu genügen und damit auch erst überhaupt gesehen wird. Man muss nicht die Erwartungen 100 Prozent erfüllen, aber man muss anschlussfähig sein. Das ist aber vor allem eine Frage der Kommunikationsweise, noch nicht der Inhalte.
Anschlussfähig zu sein dürfte aber für die katholische Kirche nicht so ganz einfach sein mit ihrer starken konfessionellen Prägung und eine Konzentration auf die Sakramente. Es gibt Theolog*innen, die von einer Krise bestimmter Sakramente, etwa das Bußsakrament oder zum Teil auch die Eucharistie, sprechen.
Das ist aber nicht unmöglich, wenn man sich die Sakramente anschaut und gegenspiegelt mit Übergangsriten und biografischen Lebenspunkten wie Taufe und Heirat. Hier wird Kirche auch noch total geschätzt. Die Kunst ist hier aber, wie man das herunterbricht. Und das setzt ganz klar voraus, was kirchliche Kernanliegen in der Kommunikation sind.
Also mehr Verständigung im Vorfeld und weniger Aktionismus am Anfang…
Ja. Sich grundlegend zu verständigen ist ein ganz wichtiger erster Schritt. Danach ist aber mindestens genauso wichtig, die Leute freizuspielen, was die Konkretion in der Kommunikation angeht. Es braucht Leute, die frei agieren können und auch frei sind, etwas ausprobieren zu dürfen. Nur so klappt es auch, dass man eine Woche nach Beginn von Clubhouse auf kirchenbezogene Angebote machen kann. „Act fast and have no regrets“, das sagt man in bezug auf die Eindämmung von Pandemien. Ganz so ist das für kirchliche Kommunikation natürlich nicht gut, ein paar Gedanken muss man sich natürlich schon machen – und grundsätzlich muss man natürlich das Feld der digitalen Medien überblicken und wissen, was man tut. Aber ja, manchmal muss man dann auch mal einfach ausprobieren, ob etwas klappt – und am besten später möglichst viele Leute von den Erfahrungen profitieren lassen, wie auch immer sie ausgefallen sein mögen.
Miriam Penkhues leitet die Pilgerstelle des Bistums Limburg und ist Teilnehmerin des Studiengangs. Für NETZ hat sie mit Unterstützung von Clemens Mann erstmals ein Interview geführt.