Profilfindung innerhalb der katholischen Kirche
Wie sind Sie an der Implementierung beteiligt bzw. an welcher Maßnahme arbeiten Sie und in welchem Zusammenhang steht das mit Ihrer sonstigen Tätigkeit?
Als Ressort Kirchenentwicklung bearbeiten wir die Maßnahme 2.3.2. „Profilfindung innerhalb der katholischen Kirche“. Das ist ein weites Feld. Wir haben den Fokus auf die Prävention von Machtmissbrauch in alltäglichen Arbeitsprozessen gelegt. Also, was kann z.B. in Sitzungen, bei im Zweiersetting, bei Dienstgesprächen helfen, dass Zusammenarbeit und Kommunikation auf Augenhöhe geschieht. Dazu haben wir ein kreatives Instrument entwickelt: Ein Kartenset, das es klassisch in einer Kartenbox und digital fürs Handy geben wird.
Ziel ist es, eine Basis für Gespräche, eine neue Kultur zu schaffen. Und genau deshalb heißt das Instrument: Gesprächsbasis. Was leistet es?
Es hilft allen Beteiligten dabei, Verantwortung für Kommunikationen zu übernehmen. Es strukturiert Gespräche, ermöglicht Irritationen oder Schieflagen zu benennen. Das Kartenset macht auf einfache Art und Weise besprechbar, was im Raum ist. Damit verteilt es Verantwortung auf alle Beteiligten und sorgt für Machtbalance und Gleichberechtigung.
Diese Maßnahme passt sehr gut zu dem Auftrag und der Rolle des Ressorts Kirchenentwicklung. Bei uns geht es primär um zwei Perspektiven: Für wen sind wir da und wie arbeiten wir miteinander? Das Kartenset nimmt das „Wie“ in den Blick. So geht es um Haltung, Partizipation, Verantwortungsübernahme und Fehlerfreundlichkeit. Diese Haltungen sind Ausdruck einer Lebenstheologie, eines Glaubens, der sich ganz konkret im Alltag zeigt, in der Dienstgemeinschaft z.B. in Zusammenarbeit. Die Leitlinien, die wir im Bistum gemeinsam entwickelt und verabschiedet haben, sind Ausdruck dessen. Häufig ist das „Wie“ entscheidender als das Ergebnis von langen Sitzungen. Das „Wie“ bleibt im Gedächtnis und Herzen hängen. Und weil wir einander nicht hinter die Stirn gucken können, ist es gut, Dinge, die sowieso da sind, besprechbar zu machen, besonders wenn es missbräuchlich wird. Das schafft Machtbalance und verhindert Lähmung.
Auf welche Herausforderungen stoßen Sie? / Und welche Lösungen finden Sie?
Die Herausforderung liegt darin, ein Arbeitsmittel zu entwickeln, das unkompliziert und schnell erklärt ist und z.B. für Zweiergespräche und Gremienarbeit taugt. Es muss also „leicht“ sein und zugleich der Ernsthaftigkeit und Vielschichtigkeit des Themas Rechnung tragen. Und es muss einlösen, was es verspricht.
Wie sind wir vorgegangen: Wir haben eine divers besetzte Arbeitsgruppe gebildet und mit der Kommunikationsagentur Gobasil einen kreativen und erfahrenen Partner für unser Projekt gefunden. Nachdem wir gemeinsam erarbeitet haben, wozu wir das Instrument benötigen, was es leisten und nicht leisten soll, hat Gobasil ein Probeset entwickelt. Mit diesem sind wir in eigenen Dienstgesprächen und Settings in die Testphase gegangen. Ebenso haben wir andere dazu eingeladen, es bei PGR-Sitzungen, in Pastoralteams, und AGs zu testen. Rückmeldungen werden eingearbeitet und die aktuelle Version geht jetzt in den Betroffenenbeirat. Damit das Tool auch immer zur Hand ist, wird es auch eine digitale Version geben.
Und hier eine Erläuterung, damit Sie sich ein Bild machen können:
In dem Set befinden sich drei Arten von Karten.
1. Steuerungskarten mit Symbolen (z.B. Pause, schneller, Fokus nicht verlieren...)
2. Verantwortungskarten, für die Gesprächsteilnehmer Verantwortung übernehmen: (z.B. welches Thema trauen wir uns nicht anzusprechen? Grenzüberschreitung? Sag es positiv! Was wäre, wenn Jesus mit am Tisch säße?)
3. Karten zur Reflexion: (z.B.: Was können wir das nächste Mal andere machen?)
Welche Wirkungen haben die Ergebnisse für Betroffene?
Die Betroffenen erleben, dass die Organisation ein Instrument entwickelt hat, um Missbrauch in konkreten alltäglichen Arbeitsprozessen und Gesprächssituationen vorzubeugen. Ziel ist es, erste Anzeichen eines missbräuchlichen Umgangs mit Macht, mit Nähe, mit Spiritualität, mit Zeit zu erkennen, eine Möglichkeit zur ersten Intervention und Besprechbarkeit zu bieten. Diese Verantwortung wird nicht „wegdelegiert“. Im Sinne der Kirchenentwicklung gehen alle Beteiligten in Verantwortung. Wenn gemeinsame Verantwortung das neue „Normal“ ist, hat die Kultur der Augenhöhe und Wertschätzung eine Chance. Und ganz praktisch verändert sich Wirklichkeit, denn die Themen, die das Kartenset benennt und die durch Ziehen der Karten als Intervention eingespielt werden, sind ja offen im Raum. Sie helfen Wahrnehmungen und erlebte Schieflagen aus der Tabuzone zu holen und Machtbalancen zu justieren. Wenn es selbstverständlich wird, das auszusprechen, was sowieso als Elefant im Raum ist, entwickelt sich Transparenz und somit die Kultur der Organisation.
Welche Auswirkungen auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bistum erwarten Sie?
Die Erprobung macht deutlich, dass sich die Qualität unserer Arbeitsprozesse verbessert, wir Tiefe gewinnen und Zeit sparen und sich die Kultur des Miteinanders verändert. Und nicht zuletzt macht es Spaß und schafft in schwierigen Situation Raum fürs Leichtigkeit. In alltäglichen Arbeitssituationen können wir in unsrer jeweiligen Rolle üben, Verantwortung zu übernehmen und so gemeinsam Kirche zu entwickeln. Das trägt zur Klarheit und Motivation bei und hilft uns Dinge neu zu sehen und zu verstehen. Wenn es dazu beiträgt, dass wir in Situation, in denen uns Widerstände, Widersprüche und Machtfragen lähmen, nicht verhakeln, sondern handlungsfähig bleiben, wäre das „premium“. Und vielleicht könnte das auch ein Teil unseres Beitrags als Kirche in der Gesellschaft sein.