Im Team ehrenamtlich Gemeinde leiten
In der Wiesbadener Pfarrei St. Peter und Paul ist am ersten Fastensonntag eine ehrenamtliche Gemeindeleitung beauftragt worden. Gabriele Wegerich (70), Diplom-Sozialpädagogin im Ruhestand, Hans-Otto Ermuth (64), Angestellter beim Land Hessen im IT-Bereich, und Gerhard Boese (64), Vertrieb Business Solutions, werden bis März 2026 den Kirchort St. Hedwig zusammen mit dem Ortsausschuss leiten. Wir haben mit ihnen, Gemeindereferentin Susanne Hering und Pfarrer Knud Schmitt über das Projekt gesprochen.
Sie drei sind jetzt offiziell als ehrenamtliche Gemeindeleitung beauftragt worden: Wie haben Sie diesen Moment erlebt?
Gerhard Boese: Als angenehm. Ich fühle mich von den Menschen, die mir diese Aufgabe zutrauen, unterstützt und getragen.
Gabi Wegerich: Mit Freude und auch etwas Aufgeregtheit sowie dem guten Gefühl, mit Gottes Segen auf den Weg geschickt zu werden.
Hans-Otto Ermuth: Gespannt, ob es etwas in mir verändert, ob Familie, Freunde, Gemeindemitglieder anders mit mir umgehen.
Was hat Sie motiviert, auf diese Weise Verantwortung zu übernehmen?
Hans-Otto Ermuth: Ich lebe hier seit Gründung der Gemeinde und habe in dieser Zeit viele ehrenamtliche Aufgaben und Leitungsfunktionen wahrgenommen. Das Angebot einer ehrenamtlichen Gemeindeleitung anzunehmen, ist für mich ein logischer Schritt. Ich möchte Verantwortung für das übernehmen, was mir wertvoll ist in der katholischen Kirche: christliche Gemeinschaft zu leben.
Gerhard Boese: Die Überzeugung, etwas in unserer Kirche bewegen und gestalten zu können.
Gabi Wegerich: Durch die Arbeit im PGR, Ortsausschuss und im liturgischen Dienst ist mir die Pfarrei und ganz besonders der Kirchort St. Hedwig vertraut. Da ich in Rente bin, habe ich jetzt genug Zeit, mich intensiver und mit Freude zu engagieren und auch zurückzugeben, was ich dankbar am Kirchort erfahren habe.
Worin bestehen Ihre Aufgaben?
Gabi Wegerich: In der Präambel unserer Vereinbarung ist als wesentliche Aufgabe genannt, „ ...Gaben und Fähigkeiten der Menschen vor Ort zu entdecken und die Menschen zur Beteiligung zu ermutigen.“ Das werden wir am Kirchort St. Hedwig versuchen, auch durch die Kontakte zur Evangelischen Nachbargemeinde und zum Quartiersmanagement im Stadtteil. „Gesicht zeigen“ heißt, vor Ort ansprechbar zu sein, den Kirchort nach außen hin zu vertreten und eben Menschen an den verschiedenen Aufgaben zu beteiligen.
Wir wollen gestalten und mitentscheiden.
Was haben Sie sich vorgenommen, was liegt Ihnen in der Gemeinde besonders am Herzen?
Gerhard Boese: Wir sehen uns als Vorreiterin und Vorreiter in eine kirchliche Zukunft, die stark von Ehrenamtlichen geprägt sein wird. Wir wollen gestalten und mitentscheiden. Unser Ziel ist es, weiter Menschen an unserem Kirchort für die Mitarbeit zu gewinnen und für die Sache Jesu zu begeistern. Jeder ist bei uns mit seinen Talenten, Fähigkeiten und Schwächen herzlich willkommen. Wir leben das Motto ich – du – wir.
Wie sehen Ihre ersten Schritte aus?
Gabi Wegerich: Seit Dezember nehme ich an den Sitzungen des Pastoralteams teil, was den Blick erweitert hat. Wir werden den neuen Weg gehen und nach und nach in die Aufgaben hineinwachsen, mitentscheiden und gestalten.
Gerhard Boese: Kontaktaufnahme zu anderen christlichen Einrichtungen in den Stadtteilen Gräselberg und Sauerland. Ich habe das Ziel, soziale Kontakte zu pflegen, gemeinsame Aktionen zu planen und durchzuführen. Dabei werde ich neue Menschen kennen und schätzen lernen.
Gibt es Reaktionen auf dieses neue Leitungsmodell?
Hans-Otto Ermuth: Ja, sowohl aus der eigenen Gemeinde als auch aus den anderen Gemeinden die Aussage, dass man es uns zutraut, dass es gelingt. Und wir sind schon durch einen anderen Ortsausschuss eingeladen worden, um zu erzählen, wie wir uns vor etwa anderthalb Jahren auf den Weg gemacht haben.
Worin liegen denn nach Ihrer Sicht die Vorteile dieser Leitung im Team?
Hans-Otto Ermuth: „Im Team“ bedeutet die Chance, unterschiedliche Stärken zusammenzuführen. „Auf Zeit“ bedeutet, die Aufgabe am Ende auch ohne Begründung abgeben zu dürfen. „Aus der Gemeinde“ bedeutet, dass man sich über Jahre kennt.
Was wünschen Sie sich für die kommende Zeit?
Gabi Wegerich: Eine gute Zusammenarbeit im Team, die Unterstützung durch die Begabungen der Menschen im Ortsausschuss, einen motivierenden und offenen Austausch mit dem Pastoralteam und das Getragensein im Glauben.
Gerhard Boese: Menschen für den christlichen Glauben zu begeistern.
Hans-Otto Ermuth: Als Team gemeinsam die Herausforderungen meistern zu können und am Ende Beispiel zu sein für Nachfolger.
Es ist eine spannende Aufgabe, der Zukunft unserer Kirche eine bunte und vielfältige Gestalt zu geben.
Wie ist es zu dem Projekt gekommen?
Susanne Hering: Als ich vor zwei Jahren angefangen habe, intensiv für die Idee der ehrenamtlichen Gemeindeleitung zu werben, war anfangs noch Skepsis zu spüren. Auch die drei Kandidaten, die ich da bereits im Auge hatte – und die jetzt beauftragt wurden - reagierten zurückhaltend. Das änderte sich erst, nachdem sie an einem Info- und Qualifizierungstag des Bistums teilgenommen hatten, von dem sie begeistert zurückkehrten. Die weitere Überzeugungsarbeit im Ortsausschuss und bei Gemeindemitgliedern war schließlich auch erfolgreich. Mein Fazit: Es braucht seine Zeit! Hartnäckigkeit und die Begleitung durch das Bistum zeichnen sich aus. Mitentscheidend ist auch der Wille des Pfarrers zu einem Wandel der pastoralen Struktur. Übrigens hat das Modell ehrenamtlicher Gemeindeleitung bei uns in der Pfarrei schon 2018 Einzug gehalten, als St. Klara mit Dr. Wolfgang Rollig – damals im Auftrag von Pfarrer Schmitt – eine ehrenamtliche Gemeindeleitung bekam.
Wie gewinnt man Menschen dafür?
Susanne Hering: Indem man auf sie zugeht, sie in ihren Charismen bestätigt und ihnen Zutrauen und Vertrauen entgegenbringt. Entscheidend ist die Haltung, aus der heraus Leitungsverantwortung geteilt wird. Sie entspringt aus meinem Glauben an den Geist Gottes. Er ist Grundlage einer Pastoral des „Ausprobierendürfens“, so nenne ich das Projekt „Gemeindeleitung im Team“, das ich noch bis Ende des Jahres begleiten darf.
Wie sieht Ihre Begleitung aus?
Susanne Hering: Wertschätzend im gemeinsamen Tun vor Ort, geduldig bei längeren Anläufen, respektvoll und aus dem Hintergrund „korrigierend“, wenn nötig. Vermittelnd zwischen Verwaltungsteam, Pastoralteam und Leitungsteam. Ab Sommer werde ich mich langsam zurückziehen und mit großer Freude (und ein klein wenig Trauer) Leitungsverantwortung loslassen. Und es zulassen, dass manches anders laufen wird. Soweit der Plan.
Welche Hoffnungen verbinden Sie als Pfarrer mit dem Modell?
Pfarrer Knud Schmitt: Ich freue mich, dass das jetzt passiert! Die Gestalt der Kirche verändert sich und das geht an keiner Pfarrei spurlos vorbei. Schon heute zeichnet sich deutlich ab, dass Kirchorte hier und da bald ohne Hauptamtliche oder ohne ihre gewohnten Gebäude auskommen müssen. Alle Umbrüche setzen dabei auch einen geistlichen Veränderungsprozess in Gang, hin zu einer Kirche der größeren Mitgestaltung und Mitverantwortung aller Mitglieder. Wo Christinnen und Christen aus eigener Initiative innerhalb unserer Pfarreien örtliche Gemeinden eigenverantwortlich leiten, verändert sich auch das Selbstverständnis und das Rollengefüge von Hauptberuflichen und Ehrenamtlichen, ebenso wie das Verhältnis der neuen Leitungsteams zu Gremien wie Pfarrgemeinderat und Verwaltungsrat.
Ziel dieser Prozesse ist es nicht, das herkömmliche kirchliche „Versorgungssystem“ „irgendwie“ aufrecht zu erhalten, sondern einen gemeinsamen Lernprozess zu gestalten, der durch einen Kultur- und Mentalitätswandel die pastorale Praxis und die kirchliche Struktur nachhaltig verändert.
Es ist eine spannende Aufgabe, der Zukunft unserer Kirche eine bunte und vielfältige Gestalt zu geben. Ich freue mich über alle Schwestern und Brüder, die sich hier einbringen möchten. Glücklicherweise gibt es inzwischen schon an mehreren Kirchorten unserer Pfarrei Interesse an diesem Gemeindeleitungsmodell.