Ehrenamtliche leiten Gemeinden
Herr Klaedtke, das Bistum Limburg hat 2018 ein Erkundungsprojekt zur Erprobung neuer Formen von Gemeindeleitungen gestartet. Jetzt ist das Projekt zu Ende gegangen. Wie fällt ihre Bilanz aus?
Die Bilanz ist grundsätzlich positiv. Wir haben gesehen, dass die ehrenamtlichen Gemeindeleitungsteams auf eine neue und profilierte Art und Weise in der Lage sind, Leitung und Verantwortung auf der Gemeindeebene wahrzunehmen. Wir merken aber auch, dass dazu eine gute Abstimmung vor Ort nötig ist. Das Modell ist kein Selbstläufer, es braucht eine gute Vorbereitung, eine gute Begleitung und es braucht Unterstützung durch Hauptamtliche. Von daher ist es ein interessantes Modell, aber man muss es auch wollen, fördern und unterstützen.
Welche positiven Wirkungen haben sich während des Projektes gezeigt?
Das Bewusstsein, dass Ehrenamtliche vor Ort Kirche sind und sie Kirche gestalten können, ist gewachsen. Das ist ein Ergebnis, das wirklich Mut macht. Verantwortung wird von Menschen vor Ort stärker gesehen und wahrgenommen. Das steckt dann auch andere an und es entwickelt sich ein Klima, in dem Menschen bereit sind, ihre Gaben und Fähigkeiten einzubringen.
Es gab mehrere Kirchorte, in denen im Rahmen des Projektes ehrenamtliche Teams gestartet sind. Und nicht überall lief es gleich gut. Welche Probleme haben sich gezeigt?
Es war gut, dass wir nicht nur Kirchorte hatten, wo alles super gelaufen ist. Denn dadurch haben wir besser erkennen können, wo etwas schwierig werden kann. In einem Kirchort wurde jemand Teil des Gemeindeleitungsteams, der bisher noch nicht so stark in der Gemeindearbeit verwurzelt war. Grundsätzlich eine sehr positive Entwicklung. Es wurde aber unterschätzt, wie wichtig eine gründliche Einarbeitung und Kenntnisse des Systems Gemeinde beziehungsweise Pfarrei sind. Eine zweite Lernerfahrung für uns war, dass die Möglichkeiten und Grenzen der Gestaltung der Gemeindeleitung klar benannt sein müssen. Es gab beispielsweise Erwartungen in einem Gemeindeleitungsteam, die sich dann teilweise nicht erfüllt haben, etwa was das zur Verfügung stehende Budget betrifft. Auch die Größe des Kirchortes spielt eine Rolle, um zu entscheiden, ob die Verantwortung von einem ehrenamtlichen Gemeindeleitungsteam übernommen werden kann, ohne es zu überfordern. Ein weiterer Knackpunkt für das ehrenamtliche Leitungsteam, die eigene Rolle zu finden, kann darin bestehen, dass es eine lange und gute Tradition einer hauptamtlichen Bezugsperson vor Ort gab. Auch wenn sich die Mühe lohnt: die Anstrengung, die es braucht, um sich in der Arbeit als Team zu finden, ist auch nicht zu unterschätzen.
Wir haben im Projekt aber auch Grundsätzliches bemerkt: Gemeindeleitung im Team funktioniert nur, wenn es innerhalb der Pfarrei bereits eine gemeinsame Ausrichtung oder Vision gibt, die die Kirchorte in der Pfarrei verbindet und von ihnen mitgetragen ist. Ehrenamtliche Leitungsteams machen nur Sinn im Verbund mit der Pfarrei, nicht in Opposition zu ihr. Genauso wenig funktioniert nach meiner Erfahrung der Versuch, hauptamtliche Ansprechpartner vor Ort einfach durch Ehrenamtliche ersetzen zu wollen. Letztere sehen sich dann nämlich nicht ohne Grund als Lückenbüßer. Die Einsetzung ehrenamtlicher Leitungsteams muss in ein Konzept eingebunden sein, das Partizipation ermöglichen und stark machen möchte.
Wie werden die Gemeindeleitungsteams von den Gläubigen wahrgenommen? Gab es hier das Problem, dass Sie nicht akzeptiert wurden?
Die Akzeptanz von Seiten der Gläubigen war und ist gegeben. Schwieriger war es – besonders am Anfang - in Bezug auf kommunale oder ökumenische Partner, die gewohnt sind, die Verantwortung in einer Gemeinde nur bei den Hauptamtlichen zu sehen und nur sie als Partner auf Augenhöhe zu akzeptieren. Das Modell setzt ein Umdenken voraus. Hier braucht es die Unterstützung der hauptamtlichen Seelsorger und Seelsorgerinnen: Sie müssen vermitteln und auf die Zuständigkeit der Gemeindeleitungsteams verweisen. Sie dürfen nicht der Versuchung erliegen, die Verantwortung der Gemeindeleitungsteams zu übergehen.
Das Modell bietet einen großen Gestaltungsspielrahmen. Besteht nicht auch die Gefahr, dass Hauptamtliche Arbeit an Ehrenamtliche abgeben und sie dadurch überfordert werden?
Gemeindeleitung im Team ist kein Modell, bei dem sich die hauptamtlich Engagierten verabschieden können. Es braucht eine hauptamtliche Unterstützung, sonst wird es nicht funktionieren. Wichtig ist beispielsweise ein hauptamtlicher Ansprechpartner, der das ehrenamtliche Gemeindeleitungsteam in bestimmten Punkten unterstützt. Das ist unverzichtbar. Auch um die Überforderung der ehrenamtlich Engagierten zu vermeiden. Gerade beim Thema Kommunikation: der Kontakt zur Gemeinde, die Vernetzung mit dem Ortsauschuss, dem Pfarrer, dem Pastoralteam, dem Pfarrgemeinderat und weiteren Akteuren kann sehr zeitaufwändig sein, wenn man möglichst viele mitnehmen will. Deshalb ist es gut, dass es mindestens drei Personen sind, die ein Leitungsteam bilden. Da lassen sich innerhalb des Teams Aufgaben abstimmen und zusammen mit dem Ortsauschuss weitere Aufgaben stemmen.
Wie geht es jetzt mit dem Modell weiter? Wird es jetzt in weiteren Pfarreien umgesetzt?
Beim Auswertungstreffen Anfang März haben wir die Ergebnisse des Erkundungsprojektes vorgestellt. Dort gab es eine ganze Reihe von Pfarreien, die vertreten waren und die das Modell für einzelne Kirchorte in ihrer Pfarrei interessant finden. Neben Oberursel, wo weitere Kirchorte das Modell übernehmen wollen, gibt es seit August letzten Jahres einen Kirchort in der Pfarrei Höhr-Grenzhausen im Kannenbäckerland mit einem Gemeindeleitungsteam. Außerdem gibt es Planungen, an einem Kirchort in einer Wiesbadener Pfarrei ein Gemeindeleitungsteam einzusetzen. Das Interesse ist noch überschaubar, aber es wächst. Was es jetzt braucht, ist neben der Absichtsbekundung des Bistums, das Modell zu wollen und zu unterstützen, eine klare diözesane Rahmengebung.
Lässt sich zu diesem diözesanen Rahmen schon etwas sagen?
Die Erarbeitung eines Entwurfs für diesen Rahmen läuft gerade. Er wird dann sehr bald in die Beratung der Gremien gehen und, wenn alles nach Plan läuft, bis zum Sommer diesen Jahres verabschiedet werden können, sodass mit einer Umsetzung noch in diesem Jahr gerechnet werden kann.
Neben den ehrenamtlichen Gemeindeleitungsteams wurde im Erkundungsprojekt auch das Modell eines erweiterten Dienstgesprächs auf Pfarreiebene erprobt. Dabei ging es darum, dass die Dienstgespräche des Teams der Hauptamtlichen einmal im Monat auch um ehrenamtlich Engagierte erweitert wurden. Was hat sich dadurch verändert?
Der Blickwinkel bei den Beratungen hat sich erweitert und auch die Planungen werden so aufgesetzt, dass sie eine größere Beteiligung ermöglichen. Das Dienstgespräch des Pastoralteams dient ja nicht in erster Linie dazu, Entscheidungen zu fällen, sondern Vorüberlegungen zu starten und Abstimmungsprozesse zu ermöglichen. Die erweiterte Zusammensetzung ermöglicht, in einem frühen Stadium neben der hauptamtlichen Perspektive weitere Perspektiven einzubringen. Die Pilotpfarrei St. Birgid in Wiesbaden hat die unterschiedlichen Perspektiven, die Ehrenamtliche von außen eingebracht haben, als eine große Bereicherung empfunden und natürlich beim Auswertungstreffen andere ermutigt, es auszuprobieren. Ihre Botschaft war „Traut euch. Es ist eine Bereicherung“. Das fasst es gut zusammen.