Charismen bringen Leben in die Kirche
Wie können Menschen ihre Talente und Charismen entdecken und wie können sie gefördert werden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Erkundungsprojekt Charismenförderung, das im September 2017 gestartet ist. Neben einem Pilotprojekt in einer Pfarrei hat sich Anfang Februar nun erstmals eine Kundschaftergruppe Charismen im Limburger Priesterseminar zu einem Start-Up getroffen. Die Gruppe aus sieben Personen möchte den Ansatz einer Charismenorientierung jeweils in ihren konkreten Arbeits- und Engagementbereichen einsetzen und Grundlagen für das Bistum Limburg erarbeiten. Wir haben mit drei Kundschaftern nach dem Start-Up gesprochen.

Warum engagieren Sie sich gerade in diesem Bereich von Kirchenentwicklung?
Stefan Ley: Für mich persönlich ist Charismenförderung ein Kernbereich von Kirchenentwicklung. Es geht darum, wie Menschen ihre Charismen kennenlernen und sie zum Aufbau des Reiches Gottes einbringen können. Dieser Ansatz kann zu einer lebendigeren Kirche führen, die nicht mehr in erster Linie in Strukturen denkt.
Marlene Wynands-Schüller: In der Arbeit der katholischen Familienbildungsstätten fragen wir uns zunehmend, ob wir mit ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Projekte angehen wollen. Der Ansatz der Charismenförderung ist für mich ein sehr positiver. Er schaut auf Ressourcen, Fähigkeiten und Fragen, die Menschen haben, und bringt viel Dynamik ins Spiel. In unserer Bildungsarbeit leben wir diesen positiven Blick auf Menschen bereits stark. Wir wollen weg kommen vom Blick ausschließlich auf Probleme. Wenn wir Menschen bewegen wollen, sich zu engagieren, dann braucht es diesen positiven Zugang. Nur so können wir auch die Freude am Evangelium wecken.
Sebastian Schneider: Der Pastorale Raum Blasiusberg wird dieses Jahr seinen Auftakt zur Pfarreiwerdung veranstalten. Ich wünsche mir, dass im Rahmen dieses Prozesses möglichst viele Menschen mit ihren Charismen eingebunden werden. Ich möchte den Ansatz der Charismenförderung gerne konkret einsetzen.
Es kann nur hilfreich sein, auf Charismen Rücksicht zu nehmen oder sie zu fördern. Das Gemeindeleben wird dadurch lebendiger.
Sebastian Schneider
Sie haben sich bei dem Start-Up verschiedene Tests zur Bestimmung von Charismen und Neigungen kennengelernt. Was nehmen Sie mit?
Wynands-Schüller: Ich musste erst ein bisschen schmunzeln, weil es mir wie ein Psychotest in der Brigitte vorkam. Sich einzusortieren, habe ich als sehr positiv erfahren. Ich habe bereits viele Selbstreflexionsseminare gemacht, die Ergebnisse waren für mich dennoch überraschend. Die Tests sind einer interessanter Spiegel seiner Selbst. Ich habe nochmal einen anderen Blick auf mich selbst bekommen.
Ley: Die Tests sind fürs Teams und Gruppen interessant, um zu schauen, ob jeder entsprechend seiner Fähigkeiten eingesetzt ist. Es kann dabei deutlich werden, dass jemand eine Ausgabe ausübt, die gar nicht seinen Charismen entspricht. Diese Aufgaben könnte dann neu verteilt werden. Meine Erkenntnis ist, dass es keine höheren oder niederen Aufgaben gibt. Die Leitung ist nicht unbedingt höherwertig als derjenige, der gut darin ist, zu dienen oder gerne im Hintergrund arbeitet. Alles ist ein Dienst. Das kann eine überraschende Erkenntnis für Teams sein.
Keiner der Kursangebote wurden im katholischen Bereich entwickelt. Was fällt besonders auf?
Wynands-Schüller: Es war für mich schon sehr amerikanisch. Und zwischendurch habe ich mir auch gedacht, dass es ähnlich wie beim Tupper-Ware-Prinzip ist. Man ist begeistert von einer Methode, erzählt davon und akquiriert dann neue Kundschaft. Das ist eine Kultur, die uns fremd ist. Wir müssen gut hinschauen, dass wir Menschen nicht verschrecken, weil sie das Gefühl haben, wir wollten sie manipulieren. Wir brauchen eine Anpassung.

Fühlt man sich da wie ein katholischer Pionier?
Ley: Ich verstehe uns da eher als Übersetzer. Bei vielen Kursen wird eine andere Sprache benutzt. Der größte Kurs kommt aus der Willow Creek Gemeinde, einer amerikanischen „Megachurch“. Da ist ein ganz anderer Sprachgebrauch angebracht, etwa wenn es um das Gebet geht oder Elemente wie Zungenrede. Wir müssen schauen: Was übersetzen wir wie in unseren Kontext.
Schneider: Wir haben außerdem über verschiedene Einsatzmöglichkeiten gesprochen. Welche Fragebögen oder welche Methoden sind für welche Gruppen geeignet. Für eine offene Veranstaltung für Interessenten ist ein Fragebogen mit 160 bis 170 Fragen natürlich nicht geeignet. Es braucht da ein Medium, das niedrigschwelliger ist. Es war auch das schöne beim Start-Up, dass unterschiedliche Methoden oder Möglichkeiten vorgestellt wurden. Gruppen, die schon lange zusammenarbeiten, können mit differenzierten Tests arbeiten. In unserem Pastoralen Raum geht es um erste Zugänge, um ein Abklären, was Charismen überhaupt bedeuten und leisten können, und welche Neigungen vorhanden sind.
Meine Erkenntnis ist, dass es keine höheren oder niederen Aufgaben gibt. [...] Alles ist ein Dienst. Das kann eine überraschende Erkenntnis für Teams sein.
Stefan Ley
Viele Pfarreien sind noch mit der Pfarreiwerdung beschäftigt und werden sich sehr genau die Frage stellen, ob Sie in den Prozess der Kirchenentwicklung mitarbeiten wollen. Lohnt es sich, zusätzliche Ressourcen zu investieren?
Schneider: Auf jeden Fall. Ich denke, dass sich dadurch zusätzlich Menschen finden, die Charismen mitbringen, die noch nicht im Gemeindeleben zu finden sind. Diese Menschen könnten viele positive Entwicklungen bewirken. Ich sehe auch die Chance, dass wir bei Menschen, die sich bereits engagieren, damit aber nicht mehr glücklich sind, andere Einsatzfelder finden können. Das fördert eine innere Zufriedenheit. Niemand hilft es, wenn jemand eine Aufgabe ausfüllt, für die er weder ein Charisma noch große Lust besitzt.
Wynands-Schüller: Es war wichtig, diese Strukturdebatten im Bistum zu führen. Gerade aus dem Blick der Familienpastoral sehe ich, dass die Pfarreien neuen Typs ganz viele neue Möglichkeiten für uns bieten. Aber wenn wir Gerüste bauen müssen wir ihnen auch Lebendigkeit einhauchen. Der Ansatz der Charismenförderung bringt Leben hinein.

Im Bistum beschäftigen sich viele Menschen mit dem Thema Charismenförderung und überlegen, ob sie ihre Arbeit stärker an vorhandenen Charismen ausrichten wollen. Was wollen Sie diesen Leuten mitgeben?
Schneider: Macht mit! Es lohnt sich! Einerseits für sich selbst, sich mit seinen Charismen intensiver auseinanderzusetzen. Charismenförderung ist auch Selbsterfahrung im positiven Sinne. Und andererseits für die eigene Arbeit in der Kirche - sei es haupt- oder ehrenamtlich. Es kann nur hilfreich sein, auf Charismen Rücksicht zu nehmen oder sie zu fördern. Das Gemeindeleben wird dadurch lebendiger.
Wynands-Schüller: Sich mit Charismen zu beschäftigen, stärkt den positiven Blick auf die Welt und die Menschen und auf das, was uns jeden Tag begegnet. Charismen sind Geschenke Gottes. Und in jedem Menschen begegnet uns dieses Geschenk Gottes. Wäre das nicht ein guter Ausgangspunkt, um das Wort Gottes, die Heilige Schrift, wieder stärker in den Mittelpunkt zu rücken?
Ley: Ich hatte den Eindruck, dass viele interessierte Personen aus unterschiedlichen Gegenden und Arbeitsbereichen zusammengekommen sind. Ich denke, dass wir durch diese Vielfalt auch positive Entwicklungen anstoßen können. Ich glaube, dass wir vielen Personen Appetit machen können, sich auf die spannende Arbeit mit Charismen einzulassen.
Die Fragen stellte Clemens Mann.
