Ein Mann, der Hafen sein will
Jörg Heuser weiß, was es heißt, unterwegs zu sein. Denn bevor er Gemeindereferent wurde, zog er als Industriedesigner häufig um, arbeitete in Köln, Darmstadt und Schwäbisch Hall, Los Angeles und Seattle. Immer wieder musste er neu ankommen, sich neu einfinden, ein neues Netzwerk aufbauen. Das waren lehrreiche, aber auch anstrengende Jahre. „Ich weiß, wie es ist, sich fremd zu fühlen“, sagt der 52-Jährige.
Diese persönlichen Erfahrungen helfen ihm nun wiederum einen neuen Anfang zu machen. Denn seit dem 1. September 2021 betreut Heuser bei der Stadtkirche Frankfurt das Themenfeld „Arbeitswelt und Kirche“. In der auf fünf Jahre angelegten dynamischen Stelle will er herausfinden, was die Menschen, die in Frankfurt arbeiten, wirklich bewegt. Wo sind die Herausforderungen im Job, wie funktioniert es mit der Work-Life-Balance? Ist überhaupt noch Zeit für Freund*innen und Familie? Wie kann die Kirche Berufstätige erreichen und was wäre das richtige Format für die Seelsorge? Nach einer Recherche sollen dazu konkrete Konzepte entstehen.
Bewusst offen definiert
Ideen hat Heuser, der mit seiner Frau in Ginsheim lebt und täglich in die Villa Gründergeist pendelt, schon jetzt viele. Doch was dabei am Ende herauskommen wird, kann er zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Denn eine genaue Stellenbeschreibung gibt es bewusst nicht; immerhin soll Heuser flexibel auf Bedarfe reagieren können. Aktuell ist er dabei, Kontakte zu knüpfen und Gespräche zu führen: mit Berufstätigen, mit Unternehmensleitungen und Betriebsräten, Pfarrern und der Caritas.
Jörg Heuser erzählt auf Hitradio FFH von seiner Aufgabe
Heuser kommt eigentlich aus dem Saarland, machte zunächst eine Lehre als Betriebsschlosser und studierte anschließend Industriedesign. Obwohl katholisch auf- gewachsen, ging er lange Zeit nicht in die Kirche. Doch nach den Anschlägen am 11. September 2001 suchte er geistlichen Halt – und fand ihn im Glauben. Später wurde daraus sogar ein Berufswunsch, den er mit einem drei- jährigen Studium der Praktischen Theologie an der Katholischen Hochschule Mainz und einer zweijährigen Ausbildung zum Gemeindereferenten in St. Birgid Wies- baden wahr gemacht hat.
Das Netz reißt
Einer wie er weiß aus eigener Erfahrung, dass es den früher oft üblichen Lebenswerdegang in nur einer Firma nicht mehr gibt, dass sich Berufswünsche ändern und Umzüge nötig werden können. „Das führt dazu, dass viele Menschen heute nicht mehr da leben, wo sie aufgewachsen sind“, so Heuser. Das enge soziale Netz aus Bekannten, Kindheitsfreund*innen und lang Vertrautem reißt und es kann schwer sein, in der neuen Stadt einen Anknüpfungspunkt zu finden. „Aber gerade wenn es im Job mal nicht so rund läuft, braucht man Leute außerhalb der Arbeit, mit denen man sich austauschen kann.“ Man braucht also jemanden, der hilft, anzudocken – dieser Analogie bedient sich auch Heuser, der selbst passionierter Segler ist. „Wenn man mit seinem Schiff einen Hafen erreicht, helfen Segler einander ganz selbstverständlich beim Anlegen: Sie signalisieren, welche Box frei ist, nehmen die Leinen entgegen, helfen beim Festmachen. Und später zeigen sie dir vielleicht noch das beste Restaurant im Hafen und laden dich auf ihr Boot auf ein Bier ein.“ Dabei entstehe oft ein besonderes Gefühl unter zweien, die beide fremd im Hafen sind, aber einander durch geteilte Erfahrung und einen Vertrauensvorschuss unterstützen: „Der andere weiß, was du willst, und du weißt, dass er dir helfen kann“, erklärt Heuser.
Ein schönes Bild, das beschreibt, wie gutes Ankommen gelingen kann. Die Einfahrenden sind die Ankommenden, klar – und die, die einwinken, könnten Frankfurter*innen sein, die einst selbst zugezogen sind und nun schon länger hier leben. Ihnen kommt eine besondere Rolle zu. „Denn sie erinnern sich sicher noch an ihre eigene Ankunft und können Neuzugezogenen die Stadt anders näher bringen als Menschen, die schon immer hier leben.“
Viele Ideen, viel zu tun
Heuser sieht sich selbst als Vermittler zwischen beiden. „In diesem Bild sind wir von der Kirche der Hafen, wenn man so will.“ Wie sein Angebot an Zugezogene und schon länger in Frankfurt lebende Menschen genau aussehen kann, steht noch nicht fest. Möglich wäre zum Beispiel ein Willkommenscafé oder auch ein Patenmodell, bei dem sich Berufstätige gegenseitig unterstützen. „Aber ich stehe mit meinen Überlegungen noch am Anfang“, sagt Heuser, der auch viele andere Ideen hat.
Eine davon, oder eher noch eine Vision, ist das „Zeltlager reloaded“: „Wenn Menschen in der Jugend katholisch sozialisiert wurden, haben sie vielleicht noch gute Erinnerungen an Zeltlager. So etwas könnte es auch für Erwachsene in der Arbeitswelt geben – wie, müsste man dann sehen.“ Und auch eine digitale Komponente ist vorstellbar, zum Beispiel eine eigene Webseite für seine Angebote, Präsenz in Social Media oder ein Podcast über die Frankfurter Arbeitswelt. Mit Angeboten zum Hören hat Jörg Heuser bereits gute Erfahrungen gemacht: „„In St. Birgid Wiesbaden haben wir im Team in der Corona-Zeit einen Podcast aufgezogen, der super lief“, erzählt er. Heuser selbst sprach über 30 Folgen zum Thema Nächstenliebe im Alltag ein, die noch immer auf www.st-birgid.de abrufbar sind.
Mittlerweile ist Jörg Heuser auch mit einer eigenen Webseite online. Auf www.ankerplatz-ffm.de gibt es viele weitere aktuelle Informationen über seine Arbeit.
Der Artikel ist in der aktuellen Ausgabe des NETZ-Magazins erschienen. Die neue Ausgabe von NETZ liegt in den Kirchen zur kostenfreien Mitnahme aus. Unter www.netz-das-magazin.de finden Sie außerdem die aktuelle Ausgabe als PDF-Download. Bei Interesse senden wir Ihnen diese und künftige Ausgaben von NETZ gerne auch per Post direkt nach Hause.
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