Als Kundschafter im Westerwald
Um pastorale Innovationen in Pfarreien zu befördern, braucht es Mitarbeiter, die sich darauf konzentrieren können und Spielräume für Experimente haben. Genau dafür hat das Bistum Limburg Dynamische Stellen geschaffen. Die erste ist seit 1. August 2019 besetzt: In der Pfarrei St. Anna in Herschbach widmet sich Stefan Ley drei Jahre lang einer charismenorientierten Pastoral im ländlichen Raum. Wir sprechen mit ihm über Ziele und erste Erfahrungen und informieren Sie im Anschluss über die wichtigsten Merkmale des neuen Stellentyps.
Herr Ley, pastorale Start-ups und Innovationen im ländlichen Raum fallen in Ihren Aufgabenbereich. Welche Aufbrüche konnten Sie schon entdecken?
Bei unseren ersten Erkundungen haben wir uns Projekte wie „All for One“ in Fulda oder die Gottesdienstreihe „Base“ angeschaut. Dort werden großartige neue Ideen ausprobiert, die aber – wie alle Dinge, auf die wir gestoßen sind – im städtischen Sozialraum stattfinden. Hier auf dem Land lassen sie sich so nicht umsetzen. Mich beschäftigt daher die Frage: Was können wir aus solchen Ansätzen dezidiert für den ländlichen Raum lernen?
Ein Projekt, das schon läuft, ist die evangelische Jugendkirche in Selters, zu der auch viele katholische Jugendliche gekommen sind. Für die Jugendlichen dort sind die konfessionellen Unterschiede nicht wirklich wichtig. Die sagen eher: „Ich bin Christ. Ich folge IHM nach.“ Ob diese Nachfolge in der katholischen oder evangelischen Kirche oder in einer Freikirche passiert, diese Frage steht hinten an. Das war für meinen evangelischen Kollegen und mich die Chance zu sagen: „Das machen wir jetzt zusammen.“, um das Konzept ökumenisch neu aufzuziehen.
Bei meiner Stelle geht es in der Hauptsache nicht darum, viele eigene Ideen einzubringen, die dann vielleicht gar nicht zu den Leuten und zur Situation vor Ort passen. Wichtig ist vielmehr das Signal: Ich bin da. Ich habe Zeit und Ressourcen und unterstütze euch bei euren Ideen. So geht für mich „gemeinsam Kirche sein“.
Ihre Stelle ist befristet bis 2022. Was soll dann in der Pfarrei anders sein?
Ich hoffe, dass es dann viele Menschen gibt, die hier überzeugt und selbstbewusst sagen: „Das ist meine Kirche. Daran baue ich mit.“ Und zwar aus Überzeugung und nicht aus einer Tradition oder „weil man das eben so macht“. Wenn ein Bewusstsein dafür entsteht, dass Kirche für die Menschen da ist und die Menschen ihre Kirche aktiv mitgestalten können und sollen, haben sich die drei Jahre für mich gelohnt.
Was tun Sie konkret, um das zu erreichen?
Für mich sind vor allem die Orte interessant, wo traditionelles Gemeindeleben nicht mehr funktioniert, wo Menschen einen Mangel erleben und etwas verändern wollen. Wenn es sogar schon eine Idee gibt, was anders werden soll – umso besser. Ich helfe dann dabei, sie weiterzuentwickeln, die Leute miteinander zu vernetzen und die praktische Umsetzung anzustoßen. Und steht die Ideenfindung noch aus, kann ich gerne auch dabei unterstützen.
Eine große Frage in unserer Pfarrei ist zum Beispiel, wie Kirche dorthin kommt, wo die Menschen in ihrem Alltag sind. Dazu ist die Idee entstanden, einen Foodtruck aufzubauen. Damit wollen wir dann – mit leckeren Burgern und guten Gesprächen im Angebot – zu den Märkten und Veranstaltungen hier in der Region fahren. Ob das Ganze realisierbar sein wird, wird sich zeigen.
Das Aufgabenfeld „Innovation“ geht schnell unter, wenn es im Pfarreialltag stressig wird. Wie gelingt ihnen da die Abgrenzung?
Das ist die große Chance einer Dynamischen Stelle: Ich bin nur für dieses Aufgabenfeld da und eben nicht eingebunden in das „Alltagsgeschäft“. Und unser Pastoralteam akzeptiert, dass ich Zeit für die „Kür“ habe, während die anderen sich vor allem um die „Pflicht“ kümmern. Wenn Not am Mann ist, übernehme ich natürlich auch mal eine Beerdigung. Aber das ist die Ausnahme. Darauf achtet nicht nur das Pastoralteam, sondern auch das Team Kirchenentwicklung.
Wen oder was erleben Sie als hilfreich für Ihre Arbeit? Im Bistum, im Bezirk, in der Pfarrei?
Das Pastoralteam vor Ort spielt auf jeden Fall eine zentrale Rolle. Hier in St. Anna arbeiten wir wirklich gut zusammen und meine Kolleginnen und Kollegen sind innovativen Ideen gegenüber sehr aufgeschlossen. Sonst würde es auch nicht funktionieren. Im Moment habe ich mehr Freiheiten – das ist sehr hilfreich. Ich kann mir vieles anschauen und einfach ausprobieren.
Außerdem muss das Umfeld passen. Ein großer Teil meiner Arbeit besteht aus Netzwerken. Dafür brauche ich Anknüpfungspunkte in der Pfarrei, aber auch darüber hinaus in der Ökumene oder bei kommunalen Stellen. Da braucht es Menschen, die offen für neue Ideen sind und Lust haben, etwas gemeinsam zu machen. Die gibt es hier. In dieser Hinsicht ist unsere Pfarrei mehr als lebendig.
Aus Ihrer Sicht als pastoraler Mitarbeiter: Welche Bedeutung haben Dynamische Stellen für die Kirchenentwicklung im Bistum Limburg?
Für die Pfarreien eröffnen sie neue Möglichkeiten. Wenn im Alltag keine Zeit bleibt für Innovation oder Charismenförderung, schafft eine Dynamische Stelle die nötigen Freiräume.
Darüber hinaus sind es Kundschafter- und Experimentierstellen. Die Erfahrungen, die ich auf dieser Stelle mache, werden mit dem Team Kirchenentwicklung zusammen reflektiert und fließen so im gesamten Bistum mit ein. Ein Beispiel dafür ist der Charismenkurs, den ich derzeit gemeinsam mit der zuständigen Referentin Birgit Henseler speziell für das Bistum Limburg entwickele. Das Konzept wird in St. Anna erprobt und bei Bedarf weiter angepasst.
Diese gute Rückbindung ist für mich eine Besonderheit der Dynamischen Stellen, sollte aber auch in anderen Bereichen stärker gefördert werden. Es ist doch verschenkte Zeit, wenn jede Pfarrei für sich an Projekten arbeitet und dann noch das Bistum „von oben“ mit Ideen kommt. Ich fände es hilfreich, wenn es von vornherein ganz gezielt Kommunikation in alle Richtungen gäbe. Beim Bistum Limburg habe ich das Gefühl, dass wir da auf einem guten Weg sind. Ich erlebe auf vielen Ebenen Menschen, die Interesse daran haben, zusammenzuarbeiten und Dinge in Bewegung zu bringen.
Der Beitrag erschien erstmals in Ausgabe 4 des NETZ-Magazins. Die gesamte Ausgabe finden SIe hier. Interview: Jan Quirmbach