(K)Eine gute Idee?
Pastorale Innovation ist mehr als eine gute Idee. Der Theologe und Innovationsforscher Florian Sobetzko spricht in seinem Gründer*innenhandbuch für pastorale Start-ups und Innovationsprojekte von 10% Inspiration und 90% Transpiration. NETZ fragt nach, was das heißt und wie sich das Schwitzen fördern lässt. Ein Interview von Jan Quirmbach.
Viele Engagierte suchen nach neuen Wegen in der Pastoral. Viele Ideen werden gesponnen, wenige werden erfolgreich umgesetzt. Warum?
Ein Grund liegt darin, dass kirchlich Engagierte immer wieder die eigenen Bedürfnisse mit denen ihrer Adressaten verwechseln oder vermischen und Angebote erfinden, die nicht funktionieren. Statt die Fehler zu analysieren, reden wir uns das dann schön: Wir hatten 120 Kommunionväter zum Besinnungsnachmittag eingeladen, es kamen nur 7. Aber mit denen war es wirklich toll! Solche Umdeutungen pastoraler Misserfolge treten an die Stelle einer sorgfältigen Obduktion gescheiterter Ideen. Mit etwas mehr Mut und Handwerkszeug ließe sich da was machen.
Mut zur Umsetzung guter Ideen?
Mut vor allem zu dem ehrlichen Gespräch, mit dem alles beginnt. Wir sprechen fast überall offen und ehrlich, sei es an der Kaffeemaschine, in der Raucherecke, in der Pause des Pastoralteams oder beim Essen nach der Ordinariatskonferenz. Aber da, wo die Entscheidungen getroffen werden, da wo die ehrlichen Einschätzungen und Resonanzen dringend gebraucht würden, da eiern wir herum. Aus Höflichkeit, aus Kollegialität, aus Angst vor Nachteilen, aus strategischen Erwägungen oder warum auch immer. Mit mehr ehrlichem Gespräch kämen wir zugleich auch an kostbare Informationen über Chancen bzw. Flop-Risiken neuer Ideen.
Und was braucht es für die Umsetzung guter Ideen?
Ich würde gerne mit einer Vorstellung von Pastoral aufräumen, die so nicht funktioniert: Innovatives kirchliches Engagement besteht gerade nicht darin, selbst tolle neue Ideen zu entwickeln und dann Leute zu suchen, die sie mit mir umsetzen.
Von den Pastoralpionieren, die ich kenne, macht eigentlich niemand seine Arbeit nur um des Neuen willen, sondern um der Zukunft von Kirche willen.
Florian Sobetzko
Wenn wir uns aber dafür einsetzen, engagierten Menschen „da draußen“ zu helfen, die das Leben etwa in ihrer Nachbarschaft besser machen wollen, dann entdecken wir echte Spuren der wirksamen Gegenwart Gottes und beeindruckende Talente – auch wenn die nicht gleich von uns getauft werden wollen.
Wie wird aus den „Ideen da draußen“ dann ein Erfolg?
In der Gründungsforschung lässt sich lernen: Eine Idee funktioniert nur, wenn sie erfolgreich auf ein Problem oder ein Bedürfnis der Adressaten anwendbar ist. Solche Ideen findet man leichter, wenn man von Anfang an den Kontakt zu denen maximiert, die erreicht werden sollen. Dann plane ich nicht lange hinter verschlossenen Türen. Vielleicht fange ich mit einem Flyer an, mit dem ich die Reaktionen teste: „Würdest du da hinkommen?“ Erst wenn dieser Werbe-Dummy überzeugt, mache ich mich an die Umsetzung. Wir reden hier von sehr kleinschrittiger Arbeit auf dem Weg zu einem funktionierenden Betriebssystem von Kirche – nicht von der schnellen Realisierung einer epiphaniehaften Vision.
Nicht selten sind die „Bewahrer der Tradition“ ein Hindernis für Innovation. Wie können die überzeugt werden?
Innovation war immer und bleibt auch heute erforderlich, damit es so etwas wie Tradition auch weiterhin geben kann. Von den Pastoralpionieren, die ich kenne, macht eigentlich niemand seine Arbeit nur um des Neuen willen, sondern um der Zukunft von Kirche willen.
Das mit dem Überzeugen der Bewahrer ist so eine Sache, denn hier werden dann regelmäßig Sachverhalte theologisiert, bei denen es in der Realität gar nicht um Theologie geht. Die Ecclesiopreneure sind müde, und zwar nicht innovationsmüde, sondern müde der Debatten mit Bedenkenträgern, die theologisch gar nicht überzeugt werden können, weil sie nicht überzeugt werden wollen. Ich empfehle, in diese Debatten maximal so viel Energie zu investieren, dass die Bewahrer einem nicht schaden können.
Innovationsprozesse führen notwendigerweise zu Fehlern. Was muss sich am kirchlichen Umgang damit ändern, um Neuerungen zu erleichtern?
Eigentlich braucht es für den Anfang nicht viel. Ein klares Signal von oben: Der Bischof wünscht sich, dass lieber neue Fehler gemacht werden sollen als immer wieder die alten. Das kann schon viel bewirken.
Innovation geht immer öfter nur von unten nach oben, das geeignete Lösungswissen ist breit gestreut im ganzen (!) Volk Gottes. Zur Vermeidung von Kannibalisierungseffekten bedarf es aber eines systematischen Innovationsmanagements. Das wiederum geht nur von oben nach unten.
Leitungsverantwortliche auf allen Ebenen müssen deshalb nicht nur die Erlaubnis zum Innovieren erteilen, sondern auch belastbare Aufträge. Wenn Stellenausschreibungen konkrete Innovationsaufgaben benennen und Ressourcen bereitstellen, lässt sich so eine Kultur entwickeln. Ansonsten sind die Innovateure ständig mit Stellvertreterkonflikten um die Erneuerungsabsicht an sich befasst.
Im Pfarrhaus treffe ich die nicht, aber in meinem Wohnhaus wohnen fast nur solche Leute.
Florian Sobetzko
Ganz konkret würde ich deshalb empfehlen, dass Leitungsverantwortliche sich nicht nur mit organisationalem Change Management befassen, wie es in den Ordinariaten schon länger üblich ist, sondern mit Innovationsmanagement. Das sind zwei wirklich unterschiedliche Dinge, die sich komplementär zu einander verhalten. Grob vereinfacht handelt Innovationsmanagement von der Frage des Wohin angesichts ungewisser Zukunft. Change-Management handelt vom Weg dorthin. Zugleich bedarf es zur Einführung von Innovtionsmanagement und Innovationskultur zweifellos einer gediegenen Change-Kompetenz.
Im Bistum Limburg wird gerade viel über neue Formen von Leitung diskutiert. Wie müssen Strukturen beschaffen sein, um Innovation zu ermöglichen?
Da gibt es keine pauschale Lösung. Aber ich bin mir sicher: Wenn über diese Frage mit offenem Visier diskutiert wird, dann kommt da mehr bei heraus. So braucht es beispielsweise nicht viel Phantasie zu erahnen, dass kirchenentwicklerisch entscheidende Informationen effektiv ausgeblendet werden, wenn ich die Fragen nur mit denen diskutiere, die noch da sind. Für die Entwicklung kirchlicher Vollzugsgestalten der Zukunft müssen uns aber speziell die Meinungen derjenigen interessieren, die mal da waren und jetzt nicht mehr kommen. Im Pfarrhaus treffe ich die nicht, aber in meinem Wohnhaus wohnen fast nur solche Leute. Ich vermute mal, in den Nachbarschaften derjenigen, die noch kommen, sieht es ähnlich aus wie in meiner. Genau auf diese ungenutzten Innovationsressourcen hinzuweisen, ist wiederum die Kompetenz der ExpertInnen für Innovationsmanagement.
Innovation lebt von der Motivation und vom Spaß derer, die ihre Idee umsetzen wollen. Wie bleiben sie trotz Hindernissen und Anstrengungen nicht auf der Strecke?
Mal ganz unumwunden: In mir gibt es so einen diplomatischen Impuls, auf diese Frage mit einem motiviert-motivierenden Statement zu antworten, mit dem heute Abend alle LeserInnen ruhig schlafen gehen können. Auf meinen Kursen und Vorträgen spüre ich ja sehr deutlich, wie dringend EntscheiderInnen und PastoralakteurInnen solcher Ermutigungen bedürfen und sich von meinen eigenen Gründungserfahrungen und meinem Innovationsgeist anstecken lassen wollen.
Gleichzeitig spüre ich aber mit dem berufsbedingten Rundblick einen deutlichen Reiz, hier mal deutlich zu werden: Wenn die Kirchenleitungen keine belastbare Innovationskompetenz entwickeln und das Thema weiterhin als theologisches Orchideenfach und pastorale Schwärmerei behandeln, dann werden die wenigen haupt- und ehrenamtlichen kreativen Köpfe der Kirche auf kurz oder lang ihre Talente woanders einbringen; sei es im Privaten oder auch in anderen Berufen. Meine Forschung und meine Berufserfahrungen zeigen deutlich: Pastoralinnovateure sind stark intrinsisch motiviert und agieren vor allem geistlich getrieben. Sie brauchen in der Regel nur wenig Anschub, können aber mit echtem Rückenwind ein Vielfaches leisten. Lässt man sie allerdings verdursten, dann setzen sie ihre prophetische Kraft woanders ein. Ein Blick in manche Nachbarländer weist aus, dass ein solcher Abfluss von Innovationskraft das kirchliche Leben in Pfarreien und Institutionen bis zum völligen Verdorren bringen kann. Das wäre dann schon tragisch, wenn man in Rechnung stellt, dass kaum eine Kirche der Welt so viel Geld und Personal hat wie die in Deutschland.
Das Interview ist in NETZ 2/2018 erschienen. Mehr Informationen zum Magazin und alle bisherigen Ausgaben.